Teil I u. II: s. "Archiv"
Das Münchner Abkommen, die Besetzung des tschechischen Rumpfstaates und die Flucht aus der Tschechoslowakei
Das Münchner Abkommen zerstört einen demokratischen Staat. Es beendet zudem das Exil in einem Land, das seit Jahrhunderten zum deutschsprachigen Kulturbereich gehört und daher für das Exil von
kaum zu überschätzender Bedeutung ist. Die politische Entwicklung wird anhand der Kommentare dargestellt, die Thomas Mann zum Verlauf des Geschehens niederschreibt. Thomas Mann hatte - wie sein
Bruder Heinrich - nach der Aberkennung der deutschen die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhalten.
Thomas Mann: "Dieser Friede"
In dem Essay "Dieser Friede" entlädt sich Thomas Manns Empörung über das Versagen der westeuropäischen Demokratien gegenüber der NS-Diktatur. Er spricht von "Verrat und Untat aus entsittllichter und lügenhafter Friedensliebe".
Olga Keller: Brief an P. Walter Jacob vom 12. Februar 1941 - Anna Maria Jokl: "Die Perlmutterfarbe"
Olga Kellers Brief aus La Paz (Bolivien) erzählt von der Flucht aus Teplitz-Schönau kurz vor dem deutschen Einmarsch, vom Leben als Emigrantin in Bolivien und von der plötzlichen, unverhofften Veränderung der Lebenssituation, als ihr Mann in Uroru, der größten Minenstadt des Landes, eine Professur für Finanzwirtschaft und Banktechnik erhält. - Anna Maria Jokls Roman Die Perlmutterfarbe ist ein Jugendbuch und zugleich eine jugendpsychologische Studie, in der sich die durch die unterschiedlichen Nationalitäten bedingten Konfliktlagen des tschechoslowakischen Staates spiegeln. Im Vorwort des Romans schildert Anna Maria Jokl ihre Flucht über die tschechoslowakische Grenze nach Polen. Das Buch ist Josef gewidmet, einem Passeur, der Jokl und ihre Gefährten über die Grenze führte.
Novemberpogrome - Vertreibung der jüdischen Bevölkerung
Die Führung des Dritten Reiches nutzt das Grynszpan-Attentat, um die Widerstandskraft der in Deutschland verbliebenen jüdischen Bevölkerungsgruppe zu brechen. Von Panik getrieben, verlassen zwischen November 1938 und September 1939 100 000 jüdische Flüchtlinge Deutschland.
Die Novemberpogrome in den Tagebüchern von Willy Cohn und Walter Tausk
Zwei Bürger Breslaus, der Zionist Willy Cohn und der säkulare Jude Walter Tausk, berichten in ihren Tagebüchern über die Vorgänge des Jahres 1938. Die Spannweite der Reaktionen ist dabei
erstaunlich.
"Emigrantenhetze" - Konrad Heiden: "Eine Nacht im November 1938"
Konrad Heiden, einer der brillantesten Publizisten des Exils, berichtet anhand von Augenzeugenberichten über die Nacht des 9. Novembers 1938. Es ist eine Studie über das Zusammenwirken von
Massenlenkung, Masssensuggestion und Presselenkung.
Rückschau noch 50 Jahren - Gertrud Goldschmidt (GEGO)
Die in Hamburg geborene bildende Künstlerin Gertrud Goldschmidt (GEGO) berichtet 50 Jahre nach ihrer Emigration in einem Brief über ihr Studium an der TH Stuttgart, über die Auflösung der Wohnung ihrer Eltern in der Hamburger Heilwegstraße und über den Verlauf ihrer Emigration nach Venezuela. Nach außen hin werden die politischen Ereignisse vollständig ausgeblendet. GEGO will augenscheinlich nur ihr persönliches Schicksal thematisieren. Gerade deshalb vermittelt der Brief einen geradezu beklemmenden Eindruck davon, dass die Erinnerung noch immer wie ein Trauma auf der Emigrantin lastet.
Nach dem Pogrom
Einzelschritte auf dem Weg zur "Endlösung"
Zwischen September 1939 und Herbst 1941 entwickeln die Instiutionen des NS-Staates erste konkrete Vorstellungen hinsichtlich der "Lösung der Judenfrage". Es werden "Judenhäuser" eingerichtet. Dem Einmarsch in Polen folgt die "Terrorwalze der Einsatzgruppen". Es beginnen die "Umsiedlungen" und der Bau der Vernichtungslager Kulmhof und Belzec. In Auschwitz werden Tötungseinrichtungen montiert.
3. Exkurs: Aspekte des Exils in der SU
Die Lage der deutschen Emigranten in der Sowjetunion während der "Säuberungen"
Die Massenverhaftungen waren darauf ausgerichtet, in der sowjetischen Bevölkerung abgrundtiefen Schrecken zu verbreiten. Der Terror und die damit einhergehende Welle von Selbstbeschuldigungen und Denunziationen unterminierte das zwischenmenschliche Vertrauen. Die dadurch ausgelöste Destabilisierung der Gesellschaft bildetete ihrerseits die Grundlage der absoluten Macht.
Im Nachhinein - vorgetäuschte Unkenntnis
Zwei Dokumente werden miteinander konfrontiert: ein Brief des Komponisten Hans Hauska vom 18. März 1946 an Gustav von Wangenheim und der Parteilebenslauf Gustav von Wangenheims von Anfang
1951.
Ein neues System literarischer Normen
4. Literarische Entwicklung II
Komödiantische Untergangsszenarien : Ernst Toller: "Nie wieder Friede!" - Walter Hasenclever: "Konflikt in Assyrien"
Sowohl Toller als auch Hasenclever sehen die Gefahr einer Katastrophe: der Vernichtung der Juden durch das nationalsozialistische Deutschland, voraus,
aber sie hoffen noch immer, dass diese Entwicklung abgewendet werden könnte. Sie hoffen, durch die Darstellung solch einer "glücklichen Fügung" die internationale Öffentlichkeit aufrütteln zu können.
Ernst Weiß: "Der Augenzeuge" - ein Psychogramm deutscher Mentalität
Opportunistisch, denunziatorisch - Lion Feuchtwanger
Feuchtwangers Roman "Exil" stellt nicht nur die "Pariser Tageblatt"-Affäre auf eine nicht zu entschuldigende Weise auf den Kopf - er funktionalisiert in diesem Zusammenhang auch das
antisemitische Zerrbild des "Ostjuden".
5. Das Krisenjahr 1939
Hitler-Stalin-Pakt, Überfall auf Polen, Beginn der Internierungen in Frankreich
Die erste Welle der Internierungen in Frankreich: Hermann Kestens Brief an René Schickele vom 7. September 1939
Die Zerstörung Polens - Bruno Frank: Die Tochter - Gustav von Wangenheim: Die Stärkeren
Bruno Frank und Gustav von Wangenheim reagieren in sehr unterschiedlicher Weise auf den deutschen bzw. den sowjetischen Einmarsch in Polen: Bruno Frank mit dem Bild einer multiethnischen
Gesellschaft - Wangenheim mit politischer Denunziation des polnischen Staates.
6. Beginn des "Westfeldzugs", Flucht vor den deutschen Truppen und zweite Phase der Internierungen
"Rette sich, wer kann!"
Als Reaktion auf den Einmarsch der deutschen Truppen bricht Panik aus. Ein endloser Strom von Flüchtlingen bewegt sich quer durch Frankreich. Zur gleichen Zeit beginnen die Internierungen der deutschen Emigranten.
Desinformation - Otto Katz: J'Accuse. The Men who Betrayed France
Fortführung des Kampfes gegen Hitler - Hans Habe: Ob tausend fallen
Die Internierungen in Frankreich 1940 - 1943
In den Apontamentos de Gurs beschreibt Elsbeth Weichmann ihre Haftzeit im südfranzösischen Frauenlager Gurs.
7. Die Flucht nach Übersee
Marseille - Varian Fry und Noel Field
Appell an die amerikanische Öffentlichkeit - Franz Werfel: "Jacobowsky und der Oberst"
Werfels Komödie "Jacobowsky und der Oberst" ist ein virtuos gestaltetes Artefakt - in gleichem Maße ein literarisches Kunstwerk wie ein wirkungsästhetischer politischer Text.
8. Literarische Entwicklung III
Bertolt Brecht: "Arbeitsjournal" - "Steffinische Sammlung"
Brecht greift zu einem neuen Genre, dem "Arbeitsjournal". Es ist vor allem ein Instrument der Selbststilisierung.
Anna Seghers: "Transit"
In "Transit" taucht ein Odysseus auf, ebenso eine Nausikaa, die hier "Marie" heißt. Außerdem findet man Kobolde, Gnomen und allerlei Tiermenschen. Ein "Türhüter" erinnert an Kafkas Erzählung "Vor dem Gesetz". Im Zentrum aber steht die Flucht aus Frankreich in den Jahren 1940/41.
Style indirect libre - Hermann Grab: "Ruhe auf der Flucht"
"Ruhe auf der Flucht" ist die Geschichte eines älteren Ehepaares, das - mit der Absicht, in die USA zu emigrieren - in Lissabon strandet. Die Geschichte wird in großen Teilen im Style indirect libre erzählt, und zwar aus unterschiedlichen Perspektiven und mit Leerstellen und Ambivalenzen. Sie ist in dieser Form eine erschütternde Anklage gegen die Indolenz der internationalen Öffentlichkeit.
9. Die innerdeutsche Situation
Ende der Emigration - Beginn der Deportationen
Die Niederlande - Suizid vor der Deportation
10. Die Lage der Flüchtlinge in GB, der Schweiz und in Shanghai
Die Flüchtlinspolitik der Schweiz
Exil in Großbritannien - kulturelle Aktivitäten im Internierungslager auf der Isle of Man: Hans Gál und Norbert Elias
Kampf um Selbstbehauptung - Exil in Shanghai
11. Die Flucht nach Palästina
Die Flucht auf der Donau-Schwarzmeer-Route
12. Nach Kriegseintritt der USA - Deportationen, Résistance, Überleben im Untergrund
Arthur Koestler: "Ein Mann springt in die Tiefe"
Im Rahmen der Erzählung eines politischen Flüchtlings über die Erfahrungen im Zusammenhang eines "gemischten Transportes" weist Koestler die internationale Öffentlichkeit auf die Gefahr der immanenten Dynamik des nationalsozialistischen Vernichtungsprozesses hin.
13. Literarische Entwicklung IV
Theodor Plievier: "Stalingrad"
Der "Irrweg einer Nation" - Thomas Mann: "Doktor Faustus"
14. Der Krieg - Schlussphase
15. Nach Kriegsende: Rückkehr oder Verbleib?
H. W. Katz: Warum ich in den USA geblieben bin
Epilog: "Reunion der Überlebenden". Der Briefwechsel eines Emigranten 1939 - 1949
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Teil III: Die diasporistische Existenz
0. Vorspann: Der Begriff der "diasporistischen Existenz"
Mit dem Begriff der "diasporistischen Existenz" charakterisiert der Maler R. B. Kitaj das Leben nach Verfolgung und Holocaust. Der "Diasporist" lebt nicht "in einer Welt", sondern in verschiedenen "Welten" zugleich.
1. Trauer
Paul Celan: "Todesfuge" - Nelly Sachs: "In den Wohnungen des Todes"
Der literarische Neuanfang nach dem Holocaust wird durch zwei spektakuläre Texte eingeleitet: Paul Celans Todesfuge und Nelly Sachs' In den Wohnungen des Todes. Beide Texte entstehen bereits vor Ende des Dritten Reiches und außerhalb seiner Grenzen: in Czernowitz und in Stockholm.
2. Rückkehr
3. Rückblicke
Wilhelm Speyer: "Das Glück der Andernachs"
Aus der Perspektive von Vertreibung und Holocaust blickt Wilhelm Speyer zurück auf die Welt einer jüdischen Familie aus der Berliner Oberschicht im Jahr 1887. Reichtum, Kunstgeschmack und Weltläufigkeit dominieren. Konkret thematisiert werden Hoffnungen und Irrwege der Assimilation. Die direkten und indirekten Kommentierungen seitens des Autors sind geprägt von z.T. makabrem Sarkasmus.
4. Differente Welten
Anna Seghers: "Der Ausflug der toten Mädchen"
Eine surreal anmutende Szenerie ist der Ausgangspunkt: In Der Ausflug der toten Mädchen schildert die Ich-Erzählerin, die Züge der Autorin trägt, einen "Abstieg in den Hades". Hier begegnet sie ehemaligen Schulkameradinnen: Opfern des NS-Regimes und Täterinnen.
Hans Sahl: "Die Wenigen und die Vielen"
Als ein "Trödler des Unbegreiflichen" beschreibt der Ich-Erzähler die Szenerie des Exils in New York. Es ist ein Treiben von "Schauspielern", die den Zusammenbruch einer Utopie zwar durchlebt haben - als "Schauspieler" aber die Auswirkungen dieses Faktums nicht wahrhaben wollen.
Saul Friedländer: "Wenn die Erinnerung kommt"
Ein autobiografischer Rückblick aus der Perspektive des Annäherungsprozesses zwischen Israel und Ägypten im Jahr 1977: Die Identität des Autors ist erschüttert, die Erinnerung blockiert: "Wer bin ich? Wo lebe ich?" Diese Fragen drängen sich nahezu zwanghaft auf.